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Galerie Vömel: Ein Jahrhundert für die Kunst 

 

1922: In Berlin flimmert erstmals der expressionistische Filmschocker „Nosferatu“ über die Leinwand, Howard Carter entdeckt in Ägypten das Grab des jungen Pharao Tutanchamun, der epochemachende Roman „Ulysses“ von James Joyce erscheint und in Rom reißt Benito Mussolini die Macht an sich. Zu Jahresende stellte der Düsseldorfer Avantgarde-Galerist Alfred Flechtheim einen jungen Mann ein, der gerade in Frankfurt eine Buchhändlerlehre absolviert hatte: Für Alexander Vömel, in der Schweiz geborener Pfarrerssohn und gerade 25 Jahre alt, öffnete sich nach Kriegsdienst und Verwundung in der prominenten rheinischen Galerie eine völlig neue Welt.  

 

Alfred Flechtheim hatte bereits seit einem Jahrzehnt mit seinem Kunsthandel an der Düsseldorfer Königsallee als Wegbereiter der französischen Moderne und des Expressionismus einen bedeutenden Namen. Maler wie Picasso und Braque, Kandinsky und Jawlensky, die Expressionisten der „Brücke“ ebenso wie die Rheinländer Campendonk, Nauen oder Macke gehörten zum Bilder-Kosmos Flechtheims. Dessen Vertrauen in seinen jungen Mitarbeiter war zweifelsohne riesengroß, denn schon 1924 schickte er den Eleven zum befreundeten Galeristen-Kollegen Daniel-Henry Kahnweiler nach Paris. Alex, wie er fortan genannt wurde, tauchte tief ein in die Pariser Boheme, erhielt den nötigen Schliff als geschickter Kunsthändler und zählte fortan Picasso und Braque, Leger und Pascin zu seinem persönlichen Bekanntenkreis.  Zurück in Düsseldorf fand Vömel im neu berufenen Direktor der Kunstakademie, Walter Kaesbach, einen Verbündeten und damit auch den Weg zu dort lehrenden Künstlern, zu denen später auch Paul Klee zählte.  

 

Die Weichen waren nun gestellt, die den Lebensweg Alex Vömels und den Kurs der späteren Galerie bis heute, einhundert Jahre später, bestimmen sollten: Frankreichs mutige Moderne und der aus den Verwerfungen des frühen Jahrhunderts und des Weltkrieges geborene deutsche Expressionismus wurden die wichtigsten Kompassnadeln des Düsseldorfer Kunsthandels, dessen lange Geschichte Glanz und Elend des 20. Jahrhunderts spiegelt. 

 

Mit Courage für die „entarteten“ Künstler 

 

Flechtheim, der seine Aktivitäten als Galerist und Verleger der Kulturzeitschrift „Der Querschnitt“ zunehmend nach Berlin verlagerte, machte seinen vertrauten Mitarbeiter 1926 zum Geschäftsführer des Düsseldorfer Stammhauses. Weltwirtschaftskrise und beständige Hetze durch die NS-Propaganda setzten dem Flechtheimschen Kunsthandel wirtschaftlich dramatisch zu. Alex Vömel übernahm die finanziell marode Düsseldorfer Galerie, als der NS-Rassenwahn seinen jüdischen Mentor zur Flucht nach London zwang, wo Flechtheim wenige Jahre später starb. 

 

„Mein Vater hat die Galerie übernommen - und es war dummerweise das Jahr 1933“, erinnert sich Edwin Vömel. Mit Sicherheit sei sein Vater kein Profiteur der Zwangs-„Arisierung“ gewesen. Ganz im Gegenteil: Alex Vömel habe dem Flüchtling Bilder nach London geschickt und auch jüdischen Sammlern geholfen, ihre Kunstwerke in die noch sicheren Niederlande zu schaffen: „Schließlich hat es bis heute auch nie irgendwelche Forderungen nach Wiedergutmachung der Familie Flechtheims an uns gegeben“, so Edwin Vömel. 

 

Engagiert und couragiert trat Alex Vömel mit Ausstellungen für seine zumeist als „entartet“ diffamierten Künstler ein, „den Nolde hat er weiter verkauft – unter dem Ladentisch“. Der Galerist Vömel sei ein „Handlanger des Kulturbolschewismus“, der „mit aller Dreistigkeit Flechtheims Kampf gegen die deutsche Kunst“ fortzusetzen versuche, hetzt ein NS-Zeitungsartikel im Winter 1936. 

 

Ein heute kaum vorstellbares Husarenstück gelang dem Düsseldorfer 1941: Nach einer umfangreichen Beschlagnahmung in seinen Räumen fuhr Alex Vömel kurzerhand nach Berlin und erwirkte im Göbbels-Ministerium die Rückgabe seiner Bilder, vielleicht gab es selbst hier noch einen Rest von Respekt gegenüber dem Weltkriegs-Hauptmann. 

 

Neben dem oft geschilderten Charme eines Grandseigneurs und der unbeirrbaren Leidenschaft für die Moderne war es wohl eine eiserne Energie, die Vömel charakterisierte. Dreimal zerstörte der Bombenkrieg die Düsseldorfer Galerieräume und dann 1943 auch noch die Privatwohnung. „Es war alles weg, aber er hat einfach weitergemacht“, erinnert sich der damals 15jährige Sohn Edwin. Eine Zusammenarbeit mit dem Kunstkabinett Trojanski half weiter, bis schließlich im ersten Friedensjahr 1946 die Galerie über dem Porzellan-Fachgeschäft Franzen auf der Königsallee mit einer Schau von Picasso-Grafiken neu eröffnen konnte. 

 

Künstler als Freunde und Geschäftspartner   

 

Die Geschäfte liefen bald glänzend, Galerien wurden in den kulturhungrigen Jahren der jungen Bundesrepublik zu lebhaften Treffpunkten von Sammlern, Künstlern, Kritikern und Museumleuten. „Wir konnten sogar 50 Pfennig Eintritt nehmen“, erinnern sich Dorothee und Edwin Vömel, die 1953 in die schwieger-väterliche Galerie eintraten: „Mittwochs war es bei uns immer besonders gut besucht, denn da hatten die Ärzte ihren freien Tag!“. Kunst-Messen oder gar Auktionen im Internet, die den Handel mit Kunstwerken grundlegend veränderten, lagen noch in unvorstellbarer Ferne.   

 

Auch Vömel junior hatte auf Vaters Drängen ebenfalls zunächst seine „Sporen“ in Paris zu verdienen. Er wurde Lehrling in der wiedergegründeten Galerie Kahnweiler/Leiris, wo das frisch vermählte Paar neun Monate lang nicht nur das spannende intellektuelle Leben der französischen Hauptstadt, sondern bei vielen Einladungen auch die kulinarischen Ambitionen des Gourmets Kahnweiler genießen konnte. Langlebige Kontakte zu Künstlern und bald bedeutenden Galeristen ließen sich knüpfen - und sei es im damals von Sartre frequentierten Café Des Deux Magots. Über einen Neffen Picassos öffnete sich der Dunstkreis des Maler-Weltstars und zum großen deutschen Freundeskreis an der Seine zählte alsbald der Bildhauer und Zeichner Norbert Kricke.  

 

Doch anders als in Frankreich, wo Künstler vielfach per Vertrag an ihre Galeristen gebunden waren, reichte bei Vömels - nun in der zweiten Generation - der Handschlag: „Viele unserer Künstler waren auch unsere Freunde, das war die Grundlage!“ Die über Jahrzehnte sympathische und fruchtbare Verquickung von Geschäftlichem und Privatem, der vertraute Kontakt zu Künstlern und Sammlern ist wohl das, was Marketingexperten heute ein besonderes „Alleinstellungsmerkmal“ der Galerie Vömel nennen würden. 

 

Glückwünsche zum 70. Geburtstag des Seniors trudeln in Düsseldorf ein von den Galeristenkollegen Kahnweiler und Fritz Nathan, den Künstlersöhnen Felix Klee, Hans Kollwitz  und Andreas Jawlensky, von Rudolf Belling, Ida Kerkovius und E.W.Nay. Besuche bei Eduard Bargheer auf Ischia oder bei dem Maler-Emigranten und Illustrator Hans Tisdall in London, bei Gerhard Marcks in Köln oder die gute Büdericher Nachbarschaft zu Ewald Mataré gehören zu den zahlreichen Erinnerungen im Hause Vömel – und markieren das stabile Fundament des Programms der Galerie, die beispielsweise den Nachlass von Marcks und Renée Sintenis bis heute verwaltet. 

 

Mit dem Umzug ins neu erbaute Kö-Center 1967 und der Teilnahme am gerade gegründeten „Kölner Kunstmarkt“ begann die erfolgreiche Messe-Karriere der Düsseldorfer Traditionsgalerie; eine ganze Reihe von Ehrenämter in Messebeirat, Antiquariatsverband und im Rotary-Club warteten auf Edwin Vömel. 

 

Klassisch-moderne Kunst im klassizistischen Haus 

 

1996 zieht die Galerie in die Orangeriestrasse 6, widmet sich weiterhin Malerei und Skulptur der Klassischen Moderne und mit besonderem Elan und zahlreichen begleitenden Katalogen auch der Grafik des 20. Jahrhunderts von Liebermann bis Pechstein, Purrmann oder Heckel. Vereinzelt findet die unmittelbare Gegenwartskunst - zumeist in „klassischer“ Bildsprache wie die des Ostdeutschen Werner Tübke - aber auch des japanischen Installationskünstlers Tadashi Kawamata oder des „Raumbildners“ Nikolaus von Georgi ein Zuhause bei Edwin Vömel. Die aufmüpfige Avantgarde der frühen Nachkriegs-Jahrzehnte wie Minimal-Art, Konzeptkunst oder ZERO hat der Düsseldorfer Kunsthändler immer neidlos und gern „den anderen Galerien“ überlassen. 

 

Nach rund einem Vierteljahrhundert im Herzen der Düsseldorfer Karlstadt haben sich Dorothee und Edwin Vömel unlängst entschlossen, ihren Galerie-Standort im denkmalgeschützten klassizistischen Gebäude in der Orangeriestrasse aufzugeben. Die wichtigsten Dokumente und Unterlagen sind mittlerweile für Forschung und Nachwelt ins Kunsthandels-Zentralarchiv (ZADIK) nach Köln gewandert. 

 

Auch, wenn nach zwei Generationen die Galerie geschlossen ist, leben Vömels natürlich weiter mit der Kunst und mit „ihren“ Künstlern. An den Wohnzimmerwänden hängen unter anderem Gemälde von Werner Gilles und des im Vorkriegs-Frankreich überaus geschätzten Helmut Kolle, dessen Oeuvre ihre Galerie seit vielen Jahren publiziert und gehandelt hat. Dass es bei dem Galeristenpaar im noch ungewohnten Ruhestand nicht zu ruhig wird, dafür sorgen ein freundlicher Hund und zwei im Garten pickende glückliche Hühner.

 

Gerd Korinthenberg

August 2022